12.05.2020 Konstituierende Sitzung

Die konstituierende Sitzung begann mit dem Ratsglockeläuten und der wertschätzenden Rundumbegrüßung von Publikum, Gemeinderäten sowie der Verwaltung durch den neuen Bürgermeister. Die Folgen der Corona-Pandemie negativ wie positiv wurden angesprochen, und dann kam die erste Erwähnung, vier Minuten nach dem Beginn der Sitzung: Alles würde mit gesundem Menschenverstand betrachtet und beurteilt werden, die Sitzungen sollen unter diesem Stern stehen.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass vor allem die wertekonservierenden Parteien in unserer kleinen Gemeinde sich auf diesen gesunden Menschenverstand berufen. Bereits in der ein oder anderen persönlichen Mail, im Wahlkampf und bei Veranstaltungen zur Bürgermeister*innen Kandidatur, wurde hier immer fleißig dieser herangezogen.

Eigentlich müsste jetzt ein kleiner Ausflug zu genau diesem Menschenverstand (wikipedia, 14.05.2020 22:53) kommen, denn meines Erachtens liegt genau in dieser Beschränkung das Problem der Sache. Verstehen ist geprägt durch Bildung, Erziehung und die eigene erlebte Geschichte. Die Vernunft (wikipedia, 14.05.202.0 23:02) jedoch, sich durch geistiges Denken Sachverhalte zu erschließen, also über sich und die Umwelt nachzudenken und dabei Bildung, Erziehung und die eigene Geschichte darüber hinaus mit anderen zu teilen, in Erfahrung zu bringen und jenseits der Logik und der Problemlösung, dann zu handeln, erweitert diesen Verstand. Denn dieser kann nach Rudolf Eisler, da er das normale Denken umfasst, dabei auch fehlgeleitet werden. Nach Emanuel Kant erweitert die Vernunft den Verstand, sie macht ihn unabhängig von der Erfahrung und hebt ihn durch Theorie und empirisches Experiment, durch erneute Prüfung desselben, also durch Reflexion, und der darauf folgenden Verbesserung als Prozess des Denkens und Handelns, auf die Ebene der Wissenschaft. Somit werden durch die Methodik sowohl die Theorie, das Handeln als auch die Überprüfung des Ergebnisses zu einem transparenten Geschehen, das nachvollziehbar ist. Etwas das in Zeiten von Fake-News, rechten Umtrieben, Wissenschaftsleugnung, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Angriffen auf Minderheiten dringend notwendig ist. Zugleich kommt man weg vom Reagieren hin zum Agieren.

Und diese demokratischen, transparenten und offenen Seiten würden auch unserer Gemeinde gut stehen.

Weiter ging es jetzt mit unserem Antrag zur „Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts“ dem ein Großteil der wertekonservierenden GR-Mitglieder mit weit von sich gestreckten, verschränkten Füßen anhörten: Ein fünfter Ausschuss, einer für „Klima und Energie“, soll unter anderem ein Klimaschutzkonzept erarbeiten, dezentrale und regenerative Energieversorgung sowie E-Mobilität fördern und die ARGE Windkraft unterstützen. Insgesamt also mithelfen, das Pariser Klimaschutzabkommen auch hier in der Gemeinde umzusetzen. Der Antrag wurde mit 4:17 Gegenstimmen abgelehnt.

Bei der Beschlussfassung über die Geschäftsordnung wurden noch weitere Anträge gestellt:
Einberufung der Ausschüsse durch 50% der Ausschussmitglieder, denn dies stärkt den demokratischen Charakter dieses wichtigen Instrumentes. Da wie von einem wertekonservierenden GR-Mitglied ausgeführt, nur bei Bedarf ein Ausschuss notwendig sei und Arbeit nicht erwünscht ist, wurde der Antrag mit 4:17 Gegenstimmen abgelehnt.
[Anzahl der] Sitzungen des Verkehrsausschusses sollen mindestens einmal pro Quartal erfolgen, da wie in vielen Wahlprogrammen erkannt, das Verkehrsproblem in der Gemeinde die Bürger bewegt. Lärm und Luftverschmutzung sowie nicht eingehaltene Geschwindigkeitsbeschränkungen sind seit Jahren Thema. Hier könnten, so im Antrag vorgeschlagen, durch die regelmäßige Beschäftigung mit dem Problem auch z.B. Verkehrskonzepte (oder ein Lärmaktionsplan) erarbeitet werden. Da die wertekonservierenden GR-Mitglieder keinen Ausschuss-Bedarf für dieses Projekt sahen, wurde der Antrag mit 4:17 Gegenstimmen abgelehnt.
Veröffentlichung der nichtöffentlichen Tagesordnung wäre nun wieder ein Thema, die Transparenz und Akzeptanz zu dann öffentlichen Beschlüssen, sowie deren Nachvollziehbarkeit durch die Gemeindebürger, zu erhöhen. Unter Berücksichtigung von Datenschutz und Persönlichkeitsrechte ist dieser Schritt bedeutend, Geheimniskrämerei und Verschwiegenheit, Gerüchten über Mauscheleien und Spezlwirtschaft aktiv entgegenzutreten. Die wertekonservierenden GR-Mitglieder sahen mit exakt den selben Argumenten dies nicht notwendig, denn mit „dem gewaltigen Fass“ der Transparenz wären ja Wohl der Gemeinde, die Handlungsfreiheit sowie der Schutzraum des Rates zusammen mit der Verschwiegenheit und Geheimhaltung bedroht, und lehnten mit 4:17 Gegenstimmen den Antrag ab.
Bürgeranfragen vor Eintritt in die Tagesordnung als bewährtes Mittel, dringend angefragten Themen ein bisschen Platz zu lassen und fest in die Gemeindeordnung zu schreiben, war offenbar der Mehrheit zu viel, der Antrag wurde diesmal mit 8:13 Stimmen abgelehnt. Wobei hier schon der Wille gezeigt wurde, so interpretiere ich diese zögerliche Befürwortung, dass die freiwillig geübte Praxis der letzten sechs Jahre doch wenig Auswirkung auf die Länge der Sitzung gehabt hatte. Wie schön wäre es, wenn auch in Zeiten der Corona-Pandemie die Bürger eine Chance auf drängende Fragen bekommen hätten.
Abstimmung über Anträge in der eingereichten Form war offenbar für ältere GR-Mitglieder ein zu weites Feld. Es musste nämlich zweimal der Versuch zur „korrekten“ Abstimmung gestartet werden. Hätten alle Ratsmitglieder sich das Protokoll der letzten Sitzung (21.04.2020) auch wirklich angesehen, es enthält gleich zwei Beispiele (TOP 8 und TOP 20), die sicher noch für mehr Verwirrung bei den Antragstellern sorgen werden, wäre der Antrag nicht mit 5:16 Gegenstimmen abgelehnt worden.

Der weitere Verlauf war jetzt weniger von Ablehnung geprägt, aber wundern tut es mich schon, was bei den wertekonservierenden GR-Mitglieder ohne viel Diskussion schnell über die Bühne ging: Wer als Seniorensprecher und als Jugendbeirat vorgeschlagen wurde: Keiner. Ja, es gibt hier Rückfragen und Personen, die dafür möglicherweise erst gewonnen werden müssen, aber sonst ist doch bei der 2. Bürgermeisterin und 3. Bürgermeister oder bei den Ausschussmitgliedern auch (vorher) schnell klar gewesen, wer es wird. Könnte es sein, dass der Stellenwert für diese beiden Vertretergruppen nicht hoch genug ist? Oder ist doch plötzlich Projektarbeit und die Erstellung eines Konzeptes in einem Ausschuss möglich, wenn es um die Aufgaben und Anforderungen eines Sprechers und Beirats geht: Der Sozialausschuss kümmert sich darum. Dieser besteht übrigens bis auf den grünen Gemeinderat und dem der Big Brother Partei, hier aber sicher mangels weiblichen Gemeinderäten, nur aus Frauen. Äh, ist das Rollenbild der beiden kleinen Schwesterparteien möglicherweise aus dem letzten Jahrhundert? Traut man das einem Mann nicht zu?

Weiter zum lustigen und flachgetretenen Thema: Wer macht vor der Sitzung ein Lokal am Ort klar, in das der Gemeinderat dann einkehren kann? Anstelle dieser Diskussion hätte man auch die Viertelstunde für Bürgeranfragen zu aktuellen Themen außerhalb der Tagesordnung verwenden können, zusammen mit dem endlosen Pingpong zwischen der Big Brother Parteien und den kleinen Schwestern, als es um nichtöffentliche Themen ging, die eigentlich recht gut erklärt, zur Entscheidung anstanden.

Kleine unbewertete Bemerkung am Rande: Es gibt im neuen GR-Gremium nur drei Frauen. Wie bereits in der vergangenen Wahlperiode. Eine dieser Frauen wurde neu hineingewählt. In der CSU war und ist keine Frau vertreten. Die Erste auf der Wähler-Liste lag auf Platz 7.

Letztendlich war die Sitzung kurz vor Mitternacht aus, die Fußgängerampel hatte sich schon ausgeschaltet und ich genoss die Frische der Luft.